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Persona Digitale: One size fits all?

Sorgt die Digitalisierung für kulturelle Gleichmacherei? Ingo Müller bekommt glatt diesen Eindruck. Er hat viele Vorstände und Geschäftsführer zur kulturellen Sollperspektive ihres Unternehmens befragt. Sicher: Keine gute EVP ohne „Future Fit“. Aber eine fast angstvolle Ausrichtung auf Digitalisierung? Zukunft uniform? Ist das klug?

Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass eine starke Arbeitgeberpositionierung (oder auch Employer Value Proposition, kurz EVP) auch eine Sollperspektive enthalten sollte. Schließlich ist Employer Branding ein Instrument der strategischen Unternehmensführung.

Wohin muss sich die Kultur des Unternehmens verändern, damit die geschäftsstrategischen Ziele auch in 3-5 Jahren erreicht werden? Welche Haltung und welches Verhalten müssen Menschen haben, um in dieser künftigen Kultur erfolgreich zu sein? Wie sieht der Mitarbeiter der Zukunft aus?

„Future Fit“ lautet das Stichwort.

Die Sollperspektiven der Unternehmen, die ich auf ihrem Weg zur EVP begleitet habe, waren bisher so bunt und unterschiedlich, wie ihre Kulturen selbst: vom „Sich freidenken“ der Sparkassen über das „Mehr Zutrauen“ von ZURICH Gruppe Deutschland bis hin zum „Das gute Gefühl stärken“ von STUTE Logistics oder dem radikalen „Mut zur Disruption“ einer Schweizer Mediengruppe – jede Kultur hatte ihren eigenen Veränderungsbedarf, ihre spezifische „Karotte an der Angel“.

Seit einiger Zeit beobachte ich jedoch in meinen Interviews mit Vorständen und Geschäftsführern einen zunehmenden Gleichlauf der Sollperspektiven.

Vor allem in Industrieunternehmen gleichen sich die Wünsche an die künftige Unternehmenskultur und an die Eigenschaften eines idealen „Mitarbeiters der Zukunft“ oft bis aufs Wort.

Von „Agilität“ ist hier viel die Rede. Von „Tempo“. Von Mitdenken und selbständig Entscheiden; vom Tellerrand, über den hinaus geschaut werden solle. Von der Lust auf Neues. Und der Fähigkeit, sich schnell darauf einzustellen. Und davon, sich auszutauschen und sein Wissen mit anderen zu teilen.

Der Grund für diese zunehmende Uniformität ist schnell identifiziert: der Megatrend Digitalisierung hält Einzug, und mit ihm die Notwendigkeit für neue Formen der Zusammenarbeit.

Und die Unternehmen starren darauf wie das Kaninchen auf die Schlange.

Ohne die anderen, ganz individuellen, oft noch wichtigeren Veränderungsbedarfe der eigenen Kultur noch wahrzunehmen.

Nun muss aus Markensicht die Sollperspektive einer Arbeitgeberpositionierung weder einzigartig noch besonders originell sein – denn sie speist sich allein aus unternehmensstrategischen Bedarfen, und diese sind in manchen Organisationen ähnlich gelagert.

Wenn aber immer mehr Unternehmen für sich dieselbe Zielkultur und denselben „Future Fit“ definieren, stellt sich mir als Employer-Branding-Stratege die Frage: werden die Merkmale einer auf digital getrimmten Unternehmenskultur langsam zu „Hygienefaktoren“?
Und die Eigenschaften und Verhaltensweisen einer „persona digitale“ zu einem Set kultureller Grundvoraussetzungen, um in einer digitalisierten Wirtschaft überhaupt bestehen zu können? Quasi ein fester Teil der allgemeinen „Employability“?

Ich meine: Ja!

Agilität und Co. werden schon bald zur Selbstverständlichkeit geworden sein – auf einer Stufe mit kulturellen Klassikern wie „Teamwork“ oder „Wertschätzung“.

Die Konsequenz für die Entwicklung von Arbeitgeberpositionierungen liegt auf der Hand: was selbstverständlich ist und wonach jeder auf dem Arbeitsmarkt sucht, das eignet sich nicht mehr als Sollperspektive für eine starke EVP.

Was also tun? Bei DEBA werden wir den idealen „Digital Fit“ formulieren – ein fertiges Set an kulturellen Passungskriterien, denen jeder Menschen entsprechen sollte, der in der digitalisierten Wirtschaft erfolgreich sein will.

Und so auch für Unternehmen in der Transformation wieder den Blick freizugeben für die vielen anderen Veränderungsbedarfe und spezifischen Sollperspektiven ihrer Unternehmenskultur. Schließlich gibt es da draußen ja noch mehr Themen als nur Digitalisierung.

Über den Autor

Ingo Müller hat das globale Employer Branding bei OSRAM aufgebaut. Von 2014 bis 2019 entwickelte er für DEBA Arbeitgeberpositionierungen für kulturell ganz unterschiedliche Unternehmen. Sein erklärtes Feindbild: Austauschbare, tausendmal gelesene EVP-Themen und mutlose Arbeitgeberstorys ohne Ecke und Kante.